Philipp Weber gehört zu einer neuen Designergeneration, die an der Ausweitung ihrer Professionszone arbeitet. In seinen Projekten wird er zum Werkzeugbauer, Maschinen-Konstrukteur und Materialforscher. Dabei ist eine seiner wichtigsten Strategien, sich selbst im Prozess auch mal zurückzunehmen.
Es ist Januar in Köln, über einen Hinterhof im Belgischen Viertel führt der Weg zur Ausstellung Naked Objects. Gezeigt werden Arbeiten, die uns fernab industriegefälliger Produktlösungen von einer alternativen deutschen Designidentität erzählen. Das auffälligste Objekt fügt sich wie historischer Bestand in die alte Lagerhalle ein und überragt die anderen Exponate: Eine Maschine mit Kesseln, Kupferrohren, Feuerspuren und funktionaler Direktheit. Dem Ausstellungstitel entsprechend wirkt sie in der Tat nackt – wie ein in der Garage aus Halbzeugen zusammengeschraubter Schnapsbrenner. Die eigentlichen „Objekte“, schwarze Hohlkörper in einfachen Geometrien, liegen daneben. Zylinder und Quader, die in ihrer rauen Klarheit und ohne funktionale Gebrauchsanweisung anachronistisch und futuristisch zugleich wirken. Das liegt auch am Werkstoff. Sie sind aus Kohle gemacht.
Das Ensemble From Below ist eine Arbeit von Philipp Weber. Der in Münster geborene Gestalter hat an der Design Academy Eindhoven studiert und an der Universität der Künste in Berlin. Beide Institutionen sind dafür bekannt, dass sie die Grenzen der Profession auch mal in Frage stellen. Philipp Weber ist nicht nur Produktdesigner, sondern ebenso Prozessgestalter, Handwerker und Geschichtenerzähler. Er geht seine Projekte mit dem Mut an, sich von Faktoren wie Effizienz, Zeit und abgesteckten Zielen freizumachen – und öffnet damit Raum für den Zufall. So war es auch 2014, als Philipp Weber die Zeche Auguste Victoria besuchte. Über tausend Meter unter der Stadt Marl begab er sich in staubiger Dunkelheit auf die Spuren seines Urgroßvaters, einem ehemaligen Kumpel. Bald darauf wurden die Gruben geschlossen und mit ihr die Kokereien, die aus der Steinkohle unter Luftabschluss und bei 1000 Grad Hitze Koks machen, nahezu reinen Kohlenstoff. Philipp Weber ist fasziniert von dem Verarbeitungsprozess, den Öfen und der Geschichte, die über ein Jahrhundert die Identität seiner Heimat geprägt hat. Seine Auseinandersetzung endet mit dem Bau einer Miniatur-Kokerei, die den Kohlenstoff zu Formen brennt. Das Projekt From Below ist eine Hommage – an den Urgroßvater, die Kumpel von heute und an das Ende der Kohle-Ära auf Auguste Viktoria.
Aktuell ist das, was in einem Verbund von Keramikofen, Kolben und Kühlbehälter entsteht, eine Experimentierreihe. Wer nach Zuordnungen sucht, könnte die tiefschwarzen Objekte als Behältnisse interpretieren. Mit ihrer von Hand modellierten und teils gerissenen Oberfläche erinnern sie an erstarrtes Magma. Diese Ästhetik ist es auch, die die Serie aus der Zeit fallen lässt. Es könnte sich um Objekte aus einer dystopischen Zukunft handeln, ebenso wie aus dem Pleistozän. Auch auf die Frage wie ein endgültiges Produkt aussehen könnte, hat der Gestalter keine Antwort. Erst einmal geht es ihm um den Prozess, erklärt Philipp Weber. „Ich habe die intellektuelle Konfrontation gesucht, über die handwerkliche und ästhetische Auseinandersetzung ein Stück Erdgeschichte mit dem menschlichen Fortschritt in Verhältnis gesetzt. Bisher hat sich noch nie jemand an der Formgebung des Materials Kohle versucht.“
Hätte man ihm die Frage nach einem Endprodukt 2013 zu seinem Projekt A Strange Symphony gestellt, hätte er ebenso mit den Schultern gezuckt. Damals beobachtete er einen Glasbläser bei der Arbeit und war fasziniert von dem Fluss der Bewegungen, der Präzision im Timing, dem Blasrohr als stummem Instrument. Was, fragte sich Weber, würde passieren, wenn der Glasbläser ein neues Werkzeug bekäme? Wenn er statt der Flöte eine Trompete bedienen würde? Zwei Jahrtausende ist das Blasrohr nahezu unverändert gebaut worden, dann entwarf Philipp Weber eine neue Version. Sein Modell hat drei Luftausgänge, die sich über Tasten ansteuern lassen. Was ein Glasbläser damit produzieren könnte, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Als ich in Belgien den Glasbläser Christophe traf wollte ich sofort mit ihm arbeiten. Ich gab ihm meine Flöte und sagte ihm, dass es nicht darum geht, wie das Produkt am Ende aussieht, sondern dass er sich vom Material leiten lassen soll, mit dem Glas in einen Dialog geht.“
Gemeinsam testeten sie an unzähligen Prototypen die Möglichkeiten und Grenzen aus, Philipp Weber dokumentierte den Prozess und übernahm die Rolle des Dirigenten. Bei Webers Flöte entsteht im Glaskörper nicht wie beim traditionellen Werkzeug eine Luftblase, sondern drei – und die Verformung des Glases kann durch die Luftsteuerung auch von innen manipuliert werden. Im Prozess erkannten die beiden neben den funktionalen Qualitäten auch ästhetische. Durch zusätzliche Einfärbung der Hohlräume in unterschiedlichen Farben ergeben sich vasenähnliche Objekte mit chromatischen Überlagerungen und faszinierenden Lichtbrechungen. Die Serie On Colours wirkt wie eine Momentaufnahme des Herstellungsprozesses, seiner Dynamik und Poesie. Als Finale von A Strange Symphony sieht Philipp Weber sie nicht: „Das Projekt geht weiter. Das Material hat seinen eigenen Willen. Ich denke, dass eine endgültige Form diese Qualität blockiert würde.“
Erschienen im designreport: https://www.designreport.de/