Gerade ist die Mailänder Möbelwoche zu Ende gegangen. Jetzt öffnet vom 16. bis zum 19. Mai in Köln eine Messe ihre Tore, ohne die es vermutlich weder einen Salone noch eine imm cologne geben würde. Die Zulieferermesse interzum zeigt technische Neuheiten und Materialinnovationen für Produzenten, Planer, Architekten und Designer. Und sie widmet sich relevanten Zukunftsthemen. In der von Dr. Sascha Peters kuratierten Ausstellung Circular Thinking auf der Piazza innovation of interior dreht sich alles um geschlossene Wertstoffkreisläufe in der industriellen Produktion.
Schon in der Fabrikation werden in der Regel nicht nur Dinge hergestellt, es entsteht auch Abfall wie Abschnitte oder Nebenerzeugnisse. Die fertigen Produkte kommen in unserem Leben an und begleiten uns eine Weile, bevor sie mit dem Ende ihres Lebenszyklus auf der Halde landen. Die Gesellschaft hat mit der Industrialisierung auch von der reststofffreien Ressourcennutzung Abschied genommen. Wir konsumieren, verpacken, tüten ein, schmeißen weg und konsumieren Neues. Weil die Ressourcen endlich sind, wird es notwendig, diese Lebensweise zu überdenken. Ein Weg ist die Eingrenzung unseres Konsums. Ein anderer, die Industrie und ihren Umgang mit Wertstoffen auf einen Kreislauf umzustellen, der das Ende eines Produktlebens als den Startpunkt für ein neues begreift.
Kreislauf der Dinge
Dr. Sascha Peters, Materialexperte, Innovationsberater und Gründer der Berliner Agentur Haute Innovation, spricht von einer Orientierung weg vom Verbrauch und hin zum Gebrauch. Von Upcycling, also der Verwertung von aussortierten und gebrauchten Wertstoffen bei der Konzeption neuer Objekte. Durch den Übertrag von bereits genutzten Dingen kann eine Win-Win-Situation entstehen, etwa wenn Möbel mit besonderen ästhetischen Qualitäten entstehen, auf die Hersteller oder Designer ohne den Ansatz beim Material nie gekommen wären. Dabei finden Gestalter Ressourcen in gebrauchten Objekten, Halbzeugen, umgenutzen Materialien und sogar im Recycling von Energie. Oder sie entwickeln revolutionäre Innovationen wie das kleinste Wasserkraftwerk der Welt, das mit seinen zwanzig Zentimetern Länge in einen Rucksack passt. Im Rahmen der Piazza innovation of interior auf der interzum 2017 werden solche herausragende Beispiele für Upcycling und nachhaltigen Materialeinsatz vorgestellt.
Stille Ressourcen
Das Designstudio Formsitz aus Gütersloh macht aus alten Fahrradrahmen monochrom lackierte Stuhlgestelle, die individuell zusammengeschweißt werden und auch aus dem eigenen alten Fahrrad entstehen können. Der niederländische Designer Marc Meijers hat mit DenimX ein Material aus alten Jeansfasern und Biokunststoffen entwickelt, das sich zu dreidimensionalen Formteilen verpressen lässt und so zu Leuchten, Möbeln, Helmen oder Automobilbauteilen werden kann. Und das Berliner Designstudio krupka-stieghan produziert Tableware aus Restfasern der Baumwollindustrie, die, wie er selbst sagt, „keine ästhetischen Kompromisse“ macht.
Natürliche Substitute
Viele der Materialinnovationen werden direkt aus der Natur importiert und sind durch ihren biologischen Ursprung kompostierbar. Tessa Silva Dawson produziert aus Milchproteinen, die sie aus Überschüssen der Milchindustrie gewinnt, einen Biokunststoff, der wie herkömmliches Thermoplast eingesetzt werden kann. Diana Drewes arbeitet mit MDF aus Pilzen und der britische Künstler und Designer Gavin Munro lässt seine Stühle auf einer Farm in Formen wachsen. Mit so durchschlagendem Erfolg, dass die Ernten bis ins Jahr 2023 ausgebucht sind. Mit ihren Entwürfen verändern sie auch die klassische Fabrik. Die Verwertung orientiert sich wieder an der Natur, die Produktion kann archaischere Ansätze zeigen und findet organische Substitute für den allgegenwärtigen Kunststoff.
Abschied vom Abfall?
Die Ausstellung der Piazza wirft einen Blick in die Zukunft im Hinblick auf alternative Rohstoffquellen, diskutiert und vertieft werden die Praxisbeispiele auf dem am 18. Mai stattfindenden Kongress Circular Thinking – from Upcycling to Biofabrication, der das Thema in seine drei Bereiche Wertstoffverwertung, Biomaterialien und Biofabrikation aufschlüsselt. Zu den Referenten gehören Materialforscher und -entwickler, Trendforscher, Designer und Architekten, die die Bandbreite der praktischen Anwendungsmöglichkeiten und Perspektiven demonstrieren. „Upcycling wird die industriellen Gesellschaften im nächsten Jahrzehnt definitiv beschäftigen und zum Innovationstreiber für neue Produkte und Materialien werden“, sagt Dr. Sascha Peters. „Das Idealbild der Industriekultur des 21. Jahrhunderts wäre, wenn Ressourcen in Kreisläufen zirkulieren würden.“
Follow the red line
Zwei weitere Sonderflächen der Innovationsmesse interzum 2017 widmen sich ebenso relevanten Zukunftsthemen. Auf der Piazza Materials and Nature werden neue Werkstoffe, Oberflächen und Bearbeitungsverfahren vorgestellt, während der Bereich Textile and Machinery die Gestaltungsmöglichkeiten mobiler Räume vom Campervan bis zum Hausboot in den Mittelpunkt stellt. Ihre Relevanz für die Branche beweist die interzum schon vor ihrer Eröffnung. Mit einem Ausstellerzuwachs von zehn Prozent und insgesamt 1.600 internationalen Unternehmen in zehn Hallen zieht die interzum nicht nur die Einrichtungsbranche, sondern auch Architekten und Designer an. Damit in diesem Jahr keiner der Besucher den Überblick verliert, hat die Messegesellschaft sich etwas besonderes ausgedacht. Eine rote Linie führt direkt vom Eingang Süd zu allen wichtigen Stationen der Messe. Viel Zeit und eine Prioritätenliste sollte der Besucher trotzdem mitbringen – in den vier Messtagen alle Exponate zu sehen, halten zumindest die Veranstalter für unmöglich.