Unsere Gesellschaft steckt mitten in einer Roboter-Revolution. Kleine Assistenten helfen im Alltag, hochspezialisierte Anlagen schrauben Dinge zusammen und auch auf emotionaler Ebene werden sich Mensch und Maschine bald näher kommen. Allerdings werden Roboter mit dem Einzug in unser Leben auch Teil des Lebensraumes von Tieren und Pflanzen. Das kooperative EU-Forschungsprojekt Flora Robotica entwickelt derzeit sogenannte „biohybride Gesellschaften“ aus Roboterschwärmen und Pflanzen, die nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Menschen kommunizieren – und unsere Städte architektonisch beleben sollen.
Im Labor von Professor Heiko Hamann blinkt es blau und rot, Kletterpflanzen winden sich an Rankhilfen empor und faustgroße Roboter messen mit Abstandssensoren den Wachstumsfortschritt und die Ausrichtung von gesteuert wachsendem Grün. Die Kommunikation zwischen Pflanze und Technik ist Stillarbeit – und eine Geduldsprobe. Heiko Hamann, der sonst zu den Themen Schwarm- und Service-Robotik lehrt und forscht, sieht in der Langsamkeit des Pflanzenwachstums durchaus einen Vorteil für seine Arbeit. „Natürlich hält uns das manchmal auf, weil unsere Experimente lange laufen, aber es entschleunigt auch die Kommunikation. Der Roboter hat ausreichend Zeit, Informationen nach außen zu signalisieren.“ Das Projekt Flora Robotica, dessen Leiter Hamann ist, wurde 2015 gestartet und ist auf eine Laufzeit von vier Jahren angelegt. Neben dem Lübecker Forscherteam gibt es noch fünf weitere Standorte in vier Nationen, die Wissenschaftler setzen sich professionsübergreifend aus Informatikern, Zoologen, Zellbiologen, Mechatronikern, Architekten und eben Robotikern wie Heiko Hamann zusammen. Sie arbeiten an unterschiedlichen Projekt-Bausteinen, aber einem gemeinsamen Ziel: Der Entwicklung intelligenter Roboter-Pflanzen-Hybride, die eines Tages ein selbstverständlicher Teil der urbanen Landschaft sein sollen.
Die Idee zum Projekt entstand bei der Auseinandersetzung mit einer anderen Untersuchung zur symbiotischen Gesellschaft. „Die Kernbesetzung des jetzigen Forschungsteams hatte sich bereits die sogenannten ‚mixed societies‘ angeschaut, also Versuche, bei denen Roboter mit Lebewesen zusammengebracht wurden“, erzählt Heiko Hamann. Das von Heiko Hamann gemeinte Projekt machte 2002 Furore, auch über die eigene Profession hinaus. Das lag wohl auch am Forschungssubjekt. Die Wissenschaftler des LEURRE-Projektes hatten eine Roboter-Kakerlake namens Insbot entwickelt, die es – parfümiert mit Kakerlaken-Duft und programmiert auf ein für die Insekten typisches Verhalten – schaffte, zum Anführer einer ganzen Kakerlaken-Gesellschaft zu werden. Während die Kakerlaken zwei Verstecke zur Auswahl hatten und ursprünglich das wählten, in dem alle Platz fanden, überzeugte der mechanische Maulwurf sie von der Alternative. Und in einem etwas niedlicheren Projekt mit dem Titel „Chicken Robot“ ließ der zylindrische Poulbot eine Gruppe Küken glauben, ihre Mutter zu sein. Rollend und piepsend dirigiert er sie durch den Stall. „Wir hatten also die Idee die gleiche Sache mit Pflanzen zu versuchen.“ sagt Heiko Hamann. Wie aber bringt man Pflanzen dazu, sich einem Roboter unterzuordnen? Während bei den Kakerlaken der Duft überzeugte, dressierte der Poulbot die Küken über Geräusche. Heiko Hamann und die Projektpartner standen vor der Herausforderung den richtigen Stimulus für die Pflanze zu finden und damit die Antwort auf die Frage: Wie können die Roboter akzeptiert werden?
Denken wir an einen Roboter, dann meistens an einen archetypischen Humanoiden, der auf zwei Beinen steht, uns die Hand schüttelt und die Welt durch zwei Augen scannt. Menschen erschaffen sich Roboter, die aussehen wie sie selber. Und Roboter, die unsere Arbeit übernehmen, müssen sich vorerst in einer Umgebung bewegen, die für den menschlichen Körper optimiert wurde. Zu ähnlich dürfen die Maschinen uns aber nicht werden. Solange Roboter noch als verniedlichte und überzeichnete Menschen erkennbar sind, haben sie unsere Sympathie. Schwierig wird es dann, wenn Roboter uns allzu ähnlich sind – dann schlägt die Akzeptanz in konsequente Ablehnung um. Der japanische Forscher Masahiro Mori beschrieb diesen Effekt schon in den Siebzigerjahren und nannte ihn Uncanny Vallley – das unheimliche Tal. Blinzelnde Wachspuppen wirken auf den Menschen hochgradig verstörend, wer also Roboter erschaffen möchte, die lieb gehabt werden, der muss einen Kompromiss zwischen Ähnlichkeit und Abstraktion finden.
Das Team von Flora Robotica stand in seinem Projekt vor der Aufgabe, ein Robotersystem zu entwickeln, das auf die Ansprüche und Voraussetzungen der Pflanze maßgeschneidert ist – und gleichzeitig in der Lage ist, seine Informationen mit Menschen auszutauschen. Die Roboter müssen als Impulsgeber akzeptiert werden – das gilt auch bei Pflanzen. Gleichzeitig wollte das Team einen klar abgesteckten Forschungsbereich. „Was wir ganz bewusst nicht machen wollten, war eine Arbeit im Bereich der reinen Automatisierung, also eine von Robotern betreute Gärtnerei zu entwickeln. Wir haben gezielt nach einem Gebiet mit einem anders gelagerten Zukunftspotential gesucht. Denn wenn wir das Wachstum beeinflussen, können wir die Pflanze auch formen. Und wenn man dieses Vorgehen automatisiert, dann ist man praktisch bei der Architektur.“ Vor dem langfristigen Ziel im Bausektor steht für Flora Robotica allerdings Grundlagenforschung. Im Pionierprojekt wird vorerst das Basissystem entwickelt, das dann später in Speziallösungen dekliniert werden kann. „Es ist für Forscher aber immer spannender, wenn man nicht ins Blaue denkt, sondern zielgerichtet arbeitet.“ konstatiert Heiko Hamann.
Die Grundlagenforschung steckt in dem rot und blau leuchtenden Aufbau des Lübecker Labors und basiert auf der klaren Tatsache, dass Pflanzen immer zum Licht wachsen. Hochintensitäts-LEDs gaukeln den Pflanzen natürliches Tageslicht vor, wobei blaues Licht auf die Pflanze besonders attraktiv wirkt und Licht im sogenannten Far-Red-Bereich gar abstoßend. Die LEDs sitzen in den Robotern, die im jetzigen Stadium noch statisch im Versuchsaufbau hängen. Sie locken die Wachstumsspitzen an oder drängen sie von sich weg, um geplante Formen zu erzeugen, zusätzlich können Vibrationsmotoren das Wachstum hemmen. „Jeder Roboter besteht aus Sensoren und Aktoren“, so Hamann „die Aktoren sind primär die Leuchten. Damit die Roboter autonom agieren können haben sie Sensoren, die feststellen, wie weit die Pflanze noch weg ist. In Zukunft könnte man zusätzlich auch noch mit Wachstumshormen arbeiten – das klingt erst einmal weniger attraktiv, ist für den Menschen aber unbedenklich. Da arbeiten wir gerade an einem Prototypen, der das Wachstum zusätzlich über Sprühstöße steuern kann.“ Die Roboter sollen aber nicht nur eine Steuerungsfunktion, sondern auch eine Überwachungsfunktion erfüllen. Technologien wie Biomasse-Sensoren oder Transpirationssensoren, die den Saftfluss messen, können Auskunft über den Zustand der Pflanze geben. Bei Wasser- oder Nährstoffmangel melden die Roboter ihre Erkenntnisse in Echtzeit – und der Mensch kann reagieren, bevor es negative Auswirkungen gibt.
In diesem überschaubaren, weil kleinformatigen Anwendungsbereich sieht Heiko Hamann auch die unmittelbaren Potentiale für die kommenden Jahre. „Der nächste logische Schritt ist, dass man vorerst noch im kleinen Maßstab arbeitet und das Projekt zum Produkt entwickelt. Denkbar ist ein System für den Innenraum, das dafür sorgt, dass man sich um die Pflanzen gar nicht mehr kümmern muss. Licht, Wasser und Wachstum sind kontrolliert und automatisiert. Wirklich spannend wird es dann, wenn wir größer und ein paar Jahre weiter denken. Dann hat man das System vielleicht als grüne Wand im Großraumbüro, aber auch im Stadtraum. Es gibt den Begriff der Grünen Infrastruktur, der ein Netzwerk aus naturnahe Flächen in den Städten beschreibt. Die flächendeckende Begrünung ist heute nicht zuletzt wegen des Personalaufwandes kaum umsetzbar. Mit unserem System kann das autonom passieren.“ In Zukunft könnten also kleine Roboter zu unseren Gärtnern werden und die Städte bis in den letzten Winkel kontrolliert bepflanzen. In Zeiten, in denen sich überbevölkerte Metropolen vor allem in die Vertikale verdichten, ist das Potential von Flora Robotica hochaktuell. Hauswände, Dächer und kleine Freiflächen könnten mit Roboterhilfe extensiv begrünt werden – und damit wird auch die biologische Artenvielfalt gesichert, das städtische Mikroklima verbessert oder die Luft gereinigt. Von der Nachsorge, die den Betonlandschaften unserer Städte ein grünes Pflaster verpasst, können die Roboter dann dazu übergehen, ein immanenter Teil der Architektur zu werden. Denkbar wären Gebäude-Hybride aus statischer Bausubstanz und organischem Grün, die sich dem Klima, der Nutzung oder den individuellen Vorlieben dynamisch anpassen können.
Auch mit solchen Ideen ist Flora Robotica noch nicht am Ende seiner Utopien. Die Vision für die nächsten vier bis fünf Jahrzehnte ist es, eines Tages in der Lage zu sein, ganze Häuser wachsen zu lassen. Die Voraussetzung dafür schaffen Hamanns Kollegen in Kopenhagen. Die Forscher des CITA, des dänischen Zentrums für Informationstechnologie und Architektur, entwerfen geflochtene Strukturen als kongeniale Komplizen für die Roboter, die der Pflanze als temporäres Exoskelett zur Verfügung stehen sollen. Dafür haben die Wissenschaftler dehn- und stauchbare Röhren und 3D-Strukturen aus geflochtenen Fasern entwickelt, deren Herstellung sie selbstverständlich ebenfalls einem Roboterschwarm übertragen wollen. Kleine fahrbare Maschinenmodule winden das Strangmaterial in einer programmierten Choreografie in die erwünschte Hohlform, in der später dann die Pflanzen wuchern können. Es ist das Gerüst für die Kletterpflanzen, die derzeit im Vergleich mit anderen Gattungen die besten Resultate bringen. „Zuerst haben wir an Bambus gedacht – denn das wächst schnell und ist ein stabiles und ultraleichtes Baumaterial. Doch bei den Versuchen mit Bambus hat sich herausgestellt, dass er sich nur zeitweise verformen lässt. Sobald der Stimulus oder das Gerüst entfernt wird begradigt er sich wieder.“ berichtet Heiko Hamann von den Modellversuchen.
Bisher sind die Kletterpflanzen am vielversprechendsten. „Vor Ort funktioniert das dann so: Wir haben die geflochtenen Strukturen, an oder in denen die Pflanzen entlangwachsen können. Zusätzlich steuern unsere Roboterknoten die Wuchsrichtung und Geschwindigkeit. Dadurch entsteht ein Hybridmaterial: Man hat das künstliche, geflochtene Material und die Pflanzen, die es versteifen, wenn sie sich dort durchweben“. Haben sich die Pflanzen einmal zu einer stabilen Struktur verwachsen, kann das Stützmaterial wieder entfernt werden. Vor allem von Seiten der Architekten gibt es dazu sehr viel Interesse und positives Feedback. Die – wenn überhaupt – dem Bauwerk nach der Fertigstellung zugeführte Vegetation wird durch den gesteuerten und automatisierten Einsatz zu einem innovativen Baumaterial, das das Gebäude nicht zuletzt selbst zu einer Art lebendigem Organismus werden lässt, der sich ständig verändert und erst mit der Zeit in seinen Soll-Zustand übergeht. Denn Pflanzen sind langsame Baumeister. „Wenn heute jemand auf uns zukommt und sich ein gewachsenes Haus wünscht, dann müssten wir wahrscheinlich sagen: In vierzig Jahren sind wir dann soweit“, lacht Heiko Hamann. „Das ist eher nicht optimal. Aber überall dort, wo wir vielmehr ein Artefakt mit architektonischer Funktion brauchen, da kann das sehr gut funktionieren“. Später einmal sollen die Roboter dann vielleicht auch nicht mehr nur statisch funktionieren, sondern können sich wie kleine Insekten über die Vegetation bewegen und dorthin klettern, wo sie gebraucht werden.
Die unterschiedlichen Roboter des Flora Robotica-Projektes gehen mit den ihnen anvertrauten Pflanzen eine Symbiose ein – eine Vergesellschaftung nach dem Win-Win-Prinzip. Denn die Unzulänglichkeiten beider Seiten werden durch die konträren Talente des Partners aufgehoben. Im Falle der Pflanze ist das die Langsamkeit, der der Roboter mit schneller Reaktion begegnet oder auch das Fehlen eines Gehirns oder Nervensystems, für das der Roboter wiederum einen eingebauten Computer mitbringt. Letzterer ist auch der Dolmetscher zum Menschen, er stellt ein Kommunikationsnetzwerk zwischen Flora und Mensch her. Einmal mit klarer Zielsetzung programmiert könnten die Roboter autonom ans Werk gehen, Städte und Lebenswelten begrünen, lebendige Bauwerke erschaffen und architektonische Systeme etablieren. Im besten Fall wird der Mensch im Prozess nicht mehr gebraucht. Dadurch ergibt sich ein letzter Anwendungsbereich, der heute noch nach Science Fiction klingt. Im Projektfilm zu Flora Robotica beschreibt diese finale Vision Thomas Schmickl, der von der Universität Graz aus als Zoologe an dem Projekt arbeitet, so: „In sehr ferner Zukunft könnten wir den Mars mit einer solchen Art besiedeln. Dort könnten die Pflanzen die Kolonisation des Planeten unterstützen und ihm auch eine neue Atmosphäre geben.“ Geprobt wird das vorerst auf der Erde.
erschienen in der Printausgabe des nomad-magazin.
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