Das neue deutsche Design

Falls sich in den deutschen Dingen noch eine preußische Seele findet, wie erkennt man sie von außen? Ist es die strenge Form, eine seriöse Attitüde oder ein liberales Machen? Die aktuelle Gestaltung made in Germany findet ihren Ausdruck zwischen globalen Einflüssen und traditionellen Wurzeln, baut auf einer vierten industriellen Revolution und schreibt das neue deutsche Design wieder klein.

Design aus Deutschland? Da denken wir an den Werkbund, das Bauhaus, die HfG Ulm. Wir denken an Max Bill, Otl Aicher und Dieter Rams. Wir denken an eine nüchterne und seriöse Formensprache, eine durchdachte Technik und wertige Qualität. Und uns könnte einfallen, dass Industriedesign überhaupt eine deutsche Erfindung ist, wollte sich doch gerade der Werkbund mit einer konsistenten Warenästhetik auf dem Weltmarkt durchsetzen. Woran wir keinesfalls denken? Die Gegenwart. Irgendwo in den Siebzigerjahren hat sich die Idee von der nationalen Identität einer deutschen Produktwelt verloren. Sie hat sich in der Digitalisierung, der Globalisierung und wohl auch in der Überzeugung aufgelöst, dass nichts Gutes in der Idee steckt, sich nur um sich selbst zu drehen. Denn gerade wir Deutschen tun uns schwer mit dem Stolz, wenn er mit dem Adjektiv „deutsch“ um die Ecke kommt.

Designrevolte made in Germany
Es gab einmal ein kurzes Aufbegehren, irgendwann in den Achtzigern, das sich gegen die Werte der Vertreter von „Guter Form“ und deutschen DIN-Normen richtete. Es war eine Reaktion auf die Tatsache, dass der Designnachwuchs es schwer hatte, Aufträge vom industriellen Establishment zu bekommen. Die Gruppe Pentagon, Vertreter des sogenannten „Neuen Deutschen Designs“, ist in diesem Jahr zum ersten Mal in einer monografischen Retrospektive im Kölner MAKK vertreten. Hier stehen Stauraummöbel in Stahlskeletten, in denen sinnlos aber skulptural interessant Gummischläuche aufgeblasen wurden, grob zusammengeschweißte Stühle mit zackigen Silhouetten und ein Dokumentarfilm zeigt ein zitternd rotierendes „Regal für billige Gläser“. Design mit vordergründig originellen Zügen, ja, aber auch Gestaltungsrevolution mit den Ressourcen der Baumärkte und mit den technischen Möglichkeiten einer Garage. Pentagon erweiterten teilhabend den Begriff des Autorendesigns, indem sie Marke, Hersteller und Vertrieb in die eigene Hand nahmen und Handwerk, Kunst und Design zusammenführten.

Die strengsten Grenzen
Die Bewegung des Neuen Deutschen Designs, die sich beispielsweise mit der Designgruppe Memphis ähnlich auch in anderen Ländern vollzog, war gerade für Deutschland ein interessantes Kapitel in der Geschichte der Gestaltungskultur. Kaum eine Nation hat mit der Industrialisierung so strikte Grenzen zwischen Kunsthandwerk und Produktdesign gezogen. Während in anderen Ländern wie den skandinavischen, in Italien oder Großbritannien dem Handwerk ein selbstverständlicher Platz in der Produktion erhalten blieb, war der Industriedesigner in Deutschland schnell der verlängerte Arm des Maschinenbauers. Am Ende galt es, den genormten Massenprodukten Attribute wie „ansprechend“ oder „bedienungsfreundlich“ zu geben. Daran änderte auch das Neue Deutsche Design erst einmal nichts. Bis ins neue Jahrtausend hielten die Strukturen an den industriellen Traditionen fest. Die Hochschullehre teilt ihre Fächer in Produktgestaltung und Kunstgewerbe auf. Die Designstudios renderten dynamische Stuhlmodelle, fragten aber meist nur die auftraggebenden Produzent*innen und nicht die benachbarte Polsterei nach ihren Fertigungspotentialen.
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Gut sichtbar versteckt
Was ist denn, wenn überhaupt, eine zeitgenössische deutsche Designidentität? Eine aktuelle Tendenz, in der eine Antwort steckt: Internationale Einflüsse finden einen nationalen Ausdruck. Das allgemein erwachte Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen, hyperlokale Produktion und hohe Qualitätsstandards führt schlussendlich dazu, dass Designer*innen in Deutschland für die Herstellung ihrer Entwürfe bei den Handwerker*innen um die Ecke landen. Hier treffen sie auf Gestaltungskompliz*innen, die den Traditionen und der Geschichte der eigenen Zunft verbunden sind.

Wie erfolgreich so eine kooperative Arbeit verlaufen kann, zeigt die Geschichte von Philipp Weber. Der Gestalter aus Münster studierte an der renommierten Designschule im niederländischen Eindhoven. Einer seiner ersten Entwürfe war eine innovative Glasmacherpfeife mit mehreren Luftöffnungen. Was das neue Werkzeug wirklich leisten konnte, ließ sich allerdings nur mit erfahrenen Glasbläser*innen herausfinden. So begann ein symbiotischer Gestaltungsprozess zwischen Design und Handwerk, zwischen der Kunst und dem Können. 2019 hat Weber mit einem Berliner Glasstudio das kooperative Label Analog gegründet. Es arbeitet mit Webers Instrument und fertigt eine an verwirbelte Wolken erinnernde Leuchtenkollektion.

Lokal global
Der Transfer nationaler Kultur auf Objekte ist in einer vernetzten Welt kein offensichtlicher. Oft deckt sich die Einstellung von zwei Gestaltenden aus zwei Ländern deutlicher als das von Designer*innen aus der Metropole und Handwerker*innen vom Land. Trotzdem lässt sich gerade an den Arbeiten der neuen Generation ablesen, was sie beschäftigt. Neben globalen Themen ist es auch die eigene gesellschaftliche und politische Umgebung, die gestalterische Herkunft und Identität, die sich spiegelt. Wer die Kollektionen der jüngeren Gestaltergeneration vergleicht, findet formal wiederkehrende Muster. Die Möbel von Protagonisten wie Victor Foxtrot, Objekte unserer Tage (OUT), llot llov, neo/craft oder Katrin Greiling treten alle mit beherrschten Silhouetten auf. Ihre Farbwelten sind schon einmal laut, das Narrativ ist leise.

Bei allen zeigt sich eine konsequente Reduktion und eine ernsthafte Ästhetik. Aber: Ihr Minimalismus kleidet sich heute in Blockfarben und die strengen Formen gleiten gerne ins Asymmetrische. Die Stühle Takahashi von OUT, Loop von neo/craft oder Swell Time von Victor Foxtrot treten als monochrome Monoblöcke auf, die ihre manchmal leicht verschobenen Proportionen in grellen Nuancen unterstreichen. Dann wird es wieder leise: Changierend überlagern sich farbiges Glas und Spiegel bei llot llovs Beistelltisch Eliasson, irisierend reflektiert die Kugelleuchte Iris von neo/craft das Licht. Poesie kann das aktuelle Design aus dem Land der Dichter und Denker eben auch, solange es dezent bleibt. Ein Entwurf, der vielleicht sogar im übertragenen Sinn als exemplarisch für den aktuellen Status quo des deutschen Designs gelesen werden kann, ist der Stuhl F51 von Katrin Greiling. Für Tecta interpretierte die Berliner Gestalterin den Bauhaus-Klassiker aus der Feder von Walter Gropius – in den alten, ausdrucksstarken Proportionen, aber in neuen, ebenso ausdrucksstarken Farben.

Design wird klein geschrieben
Was die neuen deutschen Designer*innen mit dem Neuen Deutschen Design verbindet, ist die Revolution im Sinne einer Umwälzung, die alte Zöpfe abschneidet. Es ist diesmal aber kein impulsiver Protest. Eher ein schleichendes Hinübergleiten in ein neues Professionsverständnis, das auch durch die „vierte industrielle Revolution“ befördert wurde. Das bei den Maschinen und den neuen, computergesteuerten Produktionsmöglichkeiten begann. Das dafür sorgte, dass auch ein einzelner Gestaltender in der Lage ist, „industrielle“ Stücke in alleiniger Autorenschaft zu fertigen. Viele Produkte aus den Händen deutscher Designer*innen setzen sich aus generativen Fertigungsverfahren, Handwerk und der Gestaltungsautonomie zusammen. Das hat sie von der lange Zeit gültigen Bedingung, immer produzierende Auftraggeber*innen finden zu müssen, emanzipiert. Sie arbeiten mit Tischlereien, Sattlereien, Metallbauwerkstätten oder Drechslereien, fragen nach den Fertigkeiten und forschen kooperativ an neuen Einsatzmöglichkeiten für ihre handwerklichen Alleinstellungsmerkmale. Die Gestaltenden einer Industrienation wenden sich wieder dem Manufakturgedanken zu – und finden dank global gültiger Tendenzen auch ein wenig vergessene Identität.

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