Nachmittags halb vier in Deutschland. Früher wurden hier Vaterschaftstests durchgeführt und Lügendetektoren angeschlossen. Heute treffen sich Lafer und Lichter, um lecker in den Töpfen zu rühren. Der nachmittägliche TV-Trash-Talk ist ambitioniertem Wettkochen und kulinarischen Lehrstunden gewichen. Kaum etwas scheint derzeit so interessant wie der Blick in fremde Töpfe. Köche sind bejubelte Moderatoren, Kantinenretter und Fern-Dozenten. Warum aber hat es ausgerechnet eine so alltägliche Dienstleitung aus den hermetisch abgeschlossenen Edelstahlküchen ins Rampenlicht auf gepimpte Wohlfühlherde geschafft? Warum hat gerade der Koch so viel Star-Potenzial, dass er im Quotenrennen neben Castingshows besteht? Und was hat das alles mit uns zu tun? Wir zappen uns mal durch.
Kanal 1: Eine Prise Krise
In schwierigen wirtschaftlichen Zeiten und bei hohen Ausschlägen auf dem Stressbarometer ist die Gemütlichkeit der heimischen vier Wände rettendes Rückzugsgebiet. Traditionell ist das Abendbrot familiäres und kommunikatives Ereignis. Hier lassen wir den Tag revue passieren. Aktuell ist das im Wandel. In vielen Singlehaushalten der Großstädte herrscht zum Abendbrot aufgeräumte Stille. Kochen ist von der Notwendigkeit zum Luxusgut avanciert, dessen besonderer Wert in der Zeit besteht, die man dafür aufwenden muss. Umso mehr wird das seltene gemeinsame Essen mit Freunden und Familie zelebriert, wird in eine hochwertige Kochwerkstatt, exklusive Zutaten und professionelles Werkzeug investiert. Das, was früher den Küchenkünstlern überlassen wurde, versuchen jetzt viele daheim. Die Zeiten, in denen man noch mit liebevoll aufgespießten Käseigeln oder einem Toast Hawaii und Belegkirsche beeindrucken konnte, sind vorbei. Asiatische Sommerrollen, ein Fischfilet mit Kräuterkruste oder Crème Brûlée sind gerade erst die Anfängerstufe der Kochliga.
Kanal 2: Listen and repeat
Freizeit ist knapp und ein Kochkurs eine abendfüllende Veranstaltung. Wenn der Koch jedoch über den Bildschirm direkt zum Konsumenten nach Hause kommt und die Zubereitung des stundenlang gegarten Fleischtopfs auf die wesentlichen fünfzehn Minuten zusammengeschnitten wurde, ist das Zeitgeist. Die entscheidenden Informationen sind zum Nachmachen aufbereitet, und mitschreiben muss in Zeiten des Internets keiner mehr. Und auch wer nicht synchron mitrührt, hat etwas vom Blick in die fremden Töpfe. Das Essen in der Flimmerkiste bedient das Bedürfnis nach Gesellschaft. Ebenso wie sich bei Parties die Leute zum Plausch in der Küche treffen und man sich am besten in einer ungezwungenen Dinnerrunde kennenlernt, blickt man hier ein paar Promis über die Schulter, nimmt Anteil am fast perfekten Dinner potentieller Nachbarn und lernt Starköche in ungezwungener Atmosphäre kennen. Essen verbindet, ohne verbindlich zu sein – wenngleich in diesem Fall nur digital und über eine soziale Einbahnstraße.
Kanal 3: Geschmacksgestalter
Was aber macht den Koch selbst so beliebt? Denn eigentlich haben wir es hier mit einem Lehrberuf zu tun, dessen Image näher am Zwiebelschnippler als am Popstar liegt. Zwar leben wir in Zeiten, in denen es vereinzelt auch Starfriseure und Laufstegtrainer in die Riege der B-Prominenz geschafft haben, aber dass gleich mehrere Dutzend Köche ins Fernsehprogramm einziehen, überrascht. Auch wenn man gern anderes behaupten würde – viele von ihnen überzeugen weniger mit spritzigem Talk und Charisma, als mit Schnurrbärten, halb professionellen Gesangseinlagen und seltsamen Dialekten. Ihr Geheimnis liegt woanders. Spielend verwandeln sie ein paar Bündel Kräuter in ein Pesto, klären das Mysterium um die Röstaromen und weihen uns in die beste Filetier-Technik ein. Das ist ein wenig so, als würde Houdini sein Mäntelchen lüften und uns endlich verraten, wie das Kaninchen in den Hut kommt. Und wie wir außerdem mit diesem Trick beim nächsten Familienfest die Schwiegereltern beeindrucken können. Allerdings: Das, was im Fernsehen so spielerisch ausschaut, entpuppt sich am heimischen Herd oft als tückisch. Kunst kommt eben von Können.
Kanal 4: Applaus – und Aus
Der Koch wird mittlerweile für seine Kreativleistung mit Aufmerksamkeit belohnt. Er ist ein Gestalter für den Moment und für die Sinne. Designer oder Architekt stimmen Farben, Formen und Materialien aufeinander ab, der Koch schafft vor allem feine geschmackliche Nuancierungen und wagt sich dabei in fremde Arbeitsfelder wie die molekulare Physik vor oder probiert gewagte Zusammenstellungen. Basilikum mit Zitrone, Chili in der Süßspeise und Suppen, die als Perlen serviert werden: Gerichte sind nicht statisch – und nachdem lange Zeit immer gültige Klassiker wie Gulasch, Knödel und Linsensuppe den heimischen Herd besetzten, greift die Experimentierfreude nun um sich. Frei nach dem Motto: „Was die können, kann ich auch“ schwinden die Skrupel vor Fragwürdigem, und statt sich an strenge Rezepte zu halten, beginnen viele, ihrem eigenen Geschmack zu trauen. Die neue Freiheit wiederum findet sich dann auf der Mattscheibe: Dort werden etwa den Stars aus der Kocharena sogenannte Überraschungskörbe vorgesetzt, die schonmal Tintenfisch, Erdbeeren und Sesam enthalten können. Einzige Regel: Alles muss weg. Und das Schöne ist: Manchmal scheitern hier auch die Köche. Daran sollten wir uns erinnern, wenn sich in unserem Kühlschrank nur noch eine Milchschnitte, ein schrumpeliger Apfel und ein angefangenes Glas Bockwürste finden. Alles ist möglich. Nichts muss.
Erschienen auf www.designlines.de