Protest der Prototypen: DMY Berlin

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Was haben wir nicht schon alles gemeinsam erlebt: Kennengelernt haben wir uns in Prenzlauer Berg, wir trafen uns in Kreuzberg und Tempelhof. Wir haben die Nächte durchgemacht, gelacht, geredet, experimentiert, diskutiert. DMY, das internationale Designfestival Berlin, hat vergangene Woche sein zehntes Jubiläum gefeiert. Mit diversen Ausstellungen, Symposium, Besuch aus China, drei Designpreisen, Satelliten, Shoppingnacht, offenen Studios, einem Auto und der obligatorischen Feierei. Zurück bleibt ein diffuses Gefühl: Haben wir irgendetwas verpasst? Denn trotz oder gerade wegen der Menschen, Biere, Sensationen blieb am Ende wenig nachhaltig haften.

Es ist 19 Uhr. Das Berliner Designfestival lädt zur Preview im ehemaligen Flughafen Tempelhof, der 2012 zum dritten Mal Bühne fürs nationale und internationale Nachwuchsdesign ist. In diesem Jahr ist die Agenda so voll wie nie und bietet einen Galopp durch den zeitgenössischen Design-Diskurs. Der Designpreis der Bundesrepublik Deutschland stellt die Nominierten 2012 in einer eigenen Halle aus, der festivaleigene DMY-Award wird vergeben und der bf-Preis für schreibende Gestalter beim Open Talk diskutiert. Das Symposium beschäftigt sich „mit der Rolle von Design und gestalterischen Ansätzen in ökonomischen Zusammenhängen“. 50 Studios öffnen die Türen für eine Nachtschicht. Satellitenausstellungen zeigen finnisches Design oder „Stühle ohne Beine“. Im MakerLab dürfen das Human Rights-Logo neu interpretiert und Tischtennisschläger gefräst werden. Mercedes präsentiert ein Auto. Es gibt einen Länderschwerpunkt China. Schon vor dem Anpfiff ist der Überblick verloren.

Erst die Party, dann das Vergnügen

Weiter vorn in der Schlange zum Ticket diskutiert eine Ausstellerin mit den Damen hinter Glas über die Bändchenfrage. Sie und ihre Freundin hätten gern ein schwarzes, mit dem gibt’s Getränke und Zugang zur Party. Und wo die denn sei, die Party? Die Dame weist in die Weiten des Hangars 2. Am anderen Ende lässt sich unter einem großen Werbebanner ein kleines DJ-Pult ausmachen. Vielleicht steht da sogar Mijk van Dijk. Bei den beiden macht sich Enttäuschung breit. Tatsächlich hat sich die erste der insgesamt vier Hallen nicht für eine Party zurechtgemacht. Immerhin gibt’s was zu essen und einen großzügigen Bierbank-Bereich. Auf den Tischen: ein kleines Heer winkender goldener Katzen, die den diesjährigen Special Guest aus Fernost begrüßen.

Hello Kitty!

Nach China geht’s nach links – kurz vor dem sich mit Absperrband abgrenzenden deutschen Designpreis und neben dem niederländischen Institut für Design und Mode. Lag ein Fokus des DMY 2011 auf der Kopierkultur im Designbereich, so könnte der diesjährige Gast als logische Fortsetzung aufgefasst werden. Das Land hat bei der europäischen Designcommunity einen schweren Stand – die hiesigen Gesetze um Rechte, Patente und Geschmacksmuster nimmt China bekanntlich nicht allzu ernst. Wenn in Frankfurt zur Konsumgütermesse Ambiente der Plagiarius verliehen wird, ein schwarzer Zwerg, dessen goldene Nase auf die dreistesten Produktkopien zeigt, kann China sich nicht selten über gleich alle Plätze auf dem Treppchen freuen. Jetzt, im chinesischen Kulturjahr „China in Deutschland 2012“ soll sich die einseitige Wahrnehmung ändern. „China New Design“ zeigt zeitgenössische Entwürfe junger Gestalter neben einem Potpourri an chinesischen Alltagsgegenständen. Zeitschriften, glitzernde Totenkopf-Telefone, Spielfiguren, in Zellophan geschweißt und hierarchiefrei auf dem Boden aufgereiht: das Schlimme, das Profane, das Kitschige, das Schöne. Die zeitgenössischen Möbelentwürfe stehen prominent daneben in einem Spiegel aus Reis, der alte Klischees neu auslegt. Der mutmaßliche Schatten der Möbel wurde auf dem schwarzen Boden des Hangars freigefegt.

Goodbye Kerosin!

Ein paar Meter weiter: An einer Seitenwand der Halle stehen alte Flugzeugsitze. Erst ausgezogen bis auf das Aluminiumskelett, dann angezogen mit Kaninchenfell aus alten Mänteln. Mit diesen avantgardistischen Loungesesseln protestiert Designer Gijs van Gemerden, der der Fliegerei abgeschworen hat. „Fur against Flying“ heißt sein Projekt, da gibt es Erklärungsbedarf. Grundsätzlich will der ehemaligen Eindhoven-Schüler auf die Auswirkungen von Luftreisen aufmerksam machen. Flugzeugsitze würden mit dem Ende der Kerosinressourcen überflüssig, und so macht sich Gijs in seinem apokalyptischen Produktszenario schon einmal Gedanken über neue Einsatzgebiete. Weil Gijs im Nebensatz dann aber doch den Besitz eines alten Volvo einräumt, erwacht ein leiser Zweifel an seiner Entschlossenheit. Und wenn schon: Sicher ist, dass solche Geschichten keine schlechte Vermarktungsstrategie für 3990 Euro teure Stühle sind. Oder dass 3990 Euro teure Stühle aus Abfallprodukten eher als künstlerisches Statement aufgefasst werden sollten.

Möbel mit Metaebene

Ein Ansatz wie der von Gijs van Gemerden ist geradezu exemplarisch für die Exponate des DMY: Es gibt es nur wenige Stühle, die einfach sie selbst sein dürfen. Werner Aisslinger präsentiert das Konzept einer „Chair Farm“, das wie viele andere Ausstellungsstücke bereits im April in Mailand Premiere feierte. Pflanzen wachsen direkt in ein Stuhlgerüst, das fertige Sitzmöbel muss nur noch geerntet werden. Jólan van der Wiel zeigt seinen Gravity Stool, der mittels Eisenpartikel im Kunstharz und einem starken Magneten im Produktionswerkzeug in immer neue Pilzformen wächst. Sein schon mehrmals mit Preisen honoriertes Konzept bringt ihm auch den DMY Award ein. Eine Halle weiter steht eine kleine Ente auf dürren Metallbeinchen. Dominique Habraken übertrug die Federn eines erlegten Wildvogels in ihrer ursprünglichen Anordnung auf einen künstlichen Korpus und will damit „den Eindruck unberührbarer Wildnis am Leben erhalten“.

Das Design zeigt sich in Berlin von seiner experimentellen Seite, will erst einmal protestieren, Ideen und Gedanken verkaufen statt sich selbst. Und nimmt offensichtlich ebenfalls Abstand vom China der Massenproduktion, wenn es lokal und sozial verantwortlich hergestellt wird. In Zusammenarbeit mit den VIA Behinderten-Werkstätten haben Studenten der Kunsthochschule Weissensee „Alltagshelden“ entwickelt. Hübsche, kleine, kluge und hochwertig hergestellte Produkte. Geschirrtücher, die mithilfe von Schlaufen zum Brotbeutel werden, ein Mörser, dessen Silikonring zur dazugehörigen Schale wird oder ein hölzerner Untersetzer, dessen zwei m-förmige Elemente sich gemäß der Topfgröße auseinanderziehen lassen. Überhaupt sind es vor allem die Schulen, die den DMY zur Präsentation ihrer Arbeiten nutzen: Burg Giebichenstein, die Stockholmer Konstfack, Kassel, Aachen, die Berliner Udk und Aarhus stellen aus – viele der jungen Studios hingegen nutzen das Satellitenprogramm, nehmen nur nebenbei an Gruppenausstellungen wie der von Create Berlin teil oder warten auf die nächsten Messen in Stockholm oder Mailand, von denen sie sich ein stärkeres Interesse von Seiten der Hersteller versprechen.

Nach zwei Hallen das erste Resümee: Irgendwie ist dieses Jahr alles so schön analog. Es gibt sie auch, die intelligenten Textilien, die auf den Betrachter reagieren. Oder technikaffine Objekte wie die Leuchte ökay?!, die ihre Leuchtkraft dem Energiekonsum anpasst. Und doch scheint eine Besinnung auf das Einfache eingekehrt zu sein. Vom Handwerk zur Handarbeit, von der Werkstatt in den Keller – viele Gestalter reduzieren sich bewusst auf die Werkzeuge, die in jedem gut ausgestatteten Hobbykeller anzutreffen sind. Die Sensation ist in der Umsetzung zu entdecken. Wie bei den Entwürfen von Kathrin Morawietz: Sie verpresst alte Stoffe mit Leim zu einem robusten Schichtmaterial. Aus dem drechselt sie Gefäße, dabei entstehen durch die Stofflagen zarte Linien, die an Gesteinsschichten erinnern.

Pflanzen zum Freund

Am Kopfende der Halle steht das als „Stil-Rebell“ angekündigte Ausstellungsstück von Mercedes Benz. Auf dem Weg dorthin werden wir von Grünzeug verfolgt: Thijs Ewalts „Autonomous Plants“ sind mit Roboterseelen ausgestattet und reagieren auf Bewegung. Vor dem „Concept Style Coupé“ drehen sie jedoch ab. Das Auto war zwar der Magnet für Anzugträger, blieb zwischen den Nähmaschinen und Sperrholz-Tischtennisplatten des MakerLab und den Präsentationsflächen der Hochschulen trotz einer Klebestreifen-Performance irritierend deplaziert. Mit solcherlei Hochglanz-Präsentationen tut Berlin sich eben schwer.

Aber vielleicht war es genau das, was den DMY in diesem Jahr am deutlichsten von seinen Vorgängerausgaben unterschieden hat: Das Festival ist nicht mehr nur Berlin, bietet keinen Querschnitt durch die lokale Szene, sondern einen Querschnitt durchs Design. Diese Häppchenkultur, die den Besucher in diesem Jahr mit einem Bissen von allem fütterte, hat am Ende nicht richtig satt gemacht. Der verbliebene Erlebnishunger führt in den Shop. Einer der Bestseller war in diesem Jahr ein Tragebeutel aus Baumwolle. „Kreative Kackscheisse“ steht drauf. Sich selber nicht zu ernst nehmen – da tut Berlin sich leicht.

Erschienen auf Designlines, www.designlines.de
(alle Bilder: Tanja Pabelick)

 

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