Laos liegt mitten in Südostasien. Und das mit der Mitte ist hier wörtlich zu nehmen, denn als einziges Land Südostasiens hat Sathalanalat Paxathipatai Paxaxon Lao, die demokratische Volksrepublik Laos, keinen direkten Zugang zum Meer. Eingeschlossen von den Nachbarn erstreckt es sich im Süden zwischen Vietnam und Thailand und stößt am Ende an Kambodscha. Ganz im Norden, dort wo Berge und Hinterland beginnen und ursprüngliche, kaum erschlossene Wälder die Landschaft wie mit grünen Wattebäuschen bedecken, liegen zwei schmalere Grenzstreifen mit China und Myanmar. Die geographische Lage, sowie die politischen und wirtschaftlichen Umstände der Vergangenheit und Gegenwart haben dafür gesorgt, dass Laos etwas ganz Besonderes ist: Ursprünglich und von den Touristen nur partiell erschlossen, konnte sich das Land seine Kultur und Traditionen bis heute weitestgehend bewahren. Um das zu schützen, bemüht man sich von vielen Seiten um entschleunigte Prozesse, eine nachhaltige Entwicklung und ökologischen Tourismus: Ein Pilotprojekt.
Die meisten Menschen wissen kaum etwas über die kleine Republik. Wer im Freundeskreis von einer Reise nach Laos erzählt, erntet im ersten Moment oft Ratlosigkeit. Ein blinder Fleck auf der Karte, von dem in Europa selten zu hören, sehen oder lesen ist. Dabei ist es rein flächenmäßig gar nicht mal so klein, mit seiner Größe von 237.000 Quadratkilometern würde es immerhin zwei Drittel der Bundesrepublik bedecken. Die Bevölkerungsdichte hingegen ist gering, im ganzen Land leben gerade einmal so viel Menschen wie in den vier größten Städten Deutschlands: knapp sieben Millionen. Mit Blick auf die Topographie: Kein Wunder. Zu neun Zehnteln ist das Land von Gebirge bedeckt. Das macht den Alltag im Agrarstaat zu harter Arbeit, den Zugang zu Märkten, Bildung oder medizinischer Versorgung schwer. Die Infrastruktur ist schlecht, es gibt keine Züge, kaum Flughäfen und der Zustand der Straßen ist in vielen Gebieten sehr schlecht.
Soviel zu den Zahlen.
Vor Ort findet man ein Abbild der statistischen Fakten, die neben der harten Realität auch dafür gesorgt haben, dass Laos sich seine Individualität und Authentizität bewahren konnte. Noch hat man in Laos an vielen Orten das Gefühl an einem ursprünglichen Ort zu sein, der von den Folgen der Globalisierung weitestgehend verschont geblieben ist. Selbst in der Hauptstadt Vientiane ist der Alltag von einer so dörflichen Gemächlichkeit, dass schon nach wenigen Stunden Hektik und Stress unvorstellbar geworden sind. Eine seltsam entrückte Atmosphäre, die vor allem Besucher aus dem Westen sofort begeistern kann. Während die meisten von ihnen das erste Mal nur für ein paar Tage hier landen, weil Laos als Destination Teil einer Südostasien-Rundreise ist, sind die meisten der anderen Wiederholungstäter, die nach ihrer ersten Zufallsbekanntschaft mit dem Land wiedergekommen sind. Der Tourismus ist auf dem Vormarsch und ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung. Wer die Nachbarländer wie Thailand oder Vietnam kennt, der weiß aber auch, wie schnell sich die Dinge mit einem Aufschwung des Reiseverkehrs verändern können, wie schnell die Menschen sich auf die neuen Möglichkeiten, die ihnen die ausländischen Besucher bieten, einstellen. Wer mit einem geschnitzten Elefanten mehr verdient, als sonst in einem Monat, der ist schnell bereit sein Reisfeld zugunsten der einträglicheren Beschäftigung aufzugeben. In Vientiane, das als Grenzstadt und „Landesmetropole“ nur eine Mekongbreite von Thailand entfernt ist, ist der Einfluss von Außen vielleicht am stärksten abzulesen. Wie überall ist auch hier die Jugend die erste Bevölkerungsgruppe, die sich jede Innovation sofort zu eigen macht und zur Bewegung ausruft. „Hello Kitty“-Handys und Thailand-Pop, importierte Mode und gepimpte Mopeds gehören hier, ganz wie beim Nachbarn Thailand, zu den Alltagerscheinungen. Große Kontraste, wenn man sich vor Augen hält, dass die Jugend in den kleinen Dörfern des Nordens größtenteils nur das zur Verfügung hat, was die Subsistenzwirtschaft hergibt.
Tatsächlich hat sich das Land in den letzten Jahren schon drastisch verändert. Ein wichtiger Grund für den besonderen Charakter von Laos ist, dass es sich erst Ende der 1980ern dem Westen in ökonomischer und touristischer Hinsicht geöffnet hat. Die Planwirtschaft soll langsam zur Marktwirtschaft werden und allein ein Blick auf die Zahlen belegt die Entwicklung: Während das Bruttosozialprodukt 1981 noch bei 90 Dollar lag, ist man 2010 bei 630 Dollar, 1990 reisten gerade einmal 14.000 ausländische Besucher ein, im Jahr 2008 waren es eindrucksvolle zwei Millionen. Damit nicht wie im nepalesischen Himalaya auch im laotischen Hinterland ein mit Abfall gepflasterter „Apple Pie-Trail“ entsteht, wo man auf der Trekking-Tour selbst im abgelegensten Bergdorf eine Pizza zum Abendessen bestellen kann, bemüht man sich in Laos um Öko-Tourismus und entschleunigte Prozesse. Statt die Touristen wahllos auf die Bergdörfer loszulassen, bereitet man beide Seiten auf eine Begegnung vor und führt einen Teil der Einnahmen aus der geleiteten Tour an die Dörfer zurück, investiert in Bildungseinrichtungen und Entwicklungsmaßnahmen. Ein schaler Geschmack bleibt dennoch, wer mit einem laotischen Guide in einer kleinen Gruppe durch eines der traditionellen Dörfer läuft, fühlt sich in der dokumentationswütigen Masse umso mehr als Eindringling in eine abgeschlossenen Welt, die bisher gut ohne weißgesichtige Ausländer, Digitalkameras und technologischen Schnickschnack zurechtkam.
Aber ja: Man will in Laos alles das richtig machen, was in anderen Ländern versäumt wurde. Eine andere Chance für wirtschaftlichen Fortschritt kann man sich auch kaum vorstellen. Selbst bei einem intensiven Wirtschaftswachstum wird Laos für seine Nachbarn nie zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz werden. Und so ist das kleine Laos mit Unterstützung vieler Entwicklungsorganisationen zu einem weltweit beobachteten Pilotprojekt geworden, dessen Resultate jedoch schwer prognostizierbar sind. Denn: Noch gibt es keine Vergleichswerte und Referenzprojekte. Die Ambitionen aber scheinen vernünftig: Wer mit den Großen nicht mithalten kann, sollte nach Möglichkeit seine Qualitäten herausstellen und Nischenmärkte besetzen. In Laos, das mit bis heute als „Least Developed Country“ einstuft, und damit zu den fünfzig ärmsten Ländern der Welt gehört, liegt ein großes Potential in der Ursprünglichkeit. In den nordischen Bergregionen liegen teilweise unberührte Wälder, die biologische Vielfalt ist so groß wie nirgendwo sonst in Südostasien. Öko-Tourismus und Waldprojekte, die nur eine begrenzte Anzahl zahlungswilliger Touristen erlauben, sollen dem Land Devisen bescheren ohne die Ressourcen zu gefährden. Grüne Touristen und die kulturell interessierte, zahlkräftige Elite, aber auch Rucksacktouristen sollen für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. Den größten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leistet heute der Besuch aus dem Ausland. Und so soll es auch weitergehen.
Das zweite Zugpferd neben der Natur ist die kulturelle Vielfalt des Landes. Offiziell spricht man von 47 Völkern, die man auch der Übersichtlichkeit halber in drei ethnische Gruppen aufteilt: Die Lao Lum, Lao Theung und Lao Sung (zu denen unter anderem auch die Bergvölker der Hmong und Yao zählen). Die Diversität sorgt für eine Bandbreite an Handwerkstechniken, die über Generationen weitergegeben werden und vom individuellen Können profitieren. 90 Prozent der Produktion liegen bei Kleinstbetrieben. In der Realität sind diese Betriebe meistens vielmehr „Einzelunternehmer“, die nach der Feldarbeit Körbe flechten oder Vasen töpfern und damit auf den lokalen Märkten ein Zubrot verdienen. Diese Vielfalt, die einerseits Laos großes Kapital ist, sorgt auf der anderen Seite auch für große Probleme. Denn auch wenn die Landessprache Laotisch ist, ist ihr nicht jeder mächtig. Viele Dörfer haben eine eigene Sprache, und oft sind sie so abgelegen, dass es in der Vergangenheit über Jahrzehnte keinen Austausch mit den Nachbarn gab. Die Straßenverhältnisse sind schlecht, manches Mal ist es ein Tagesmarsch bis zur nächsten Siedlung. In der Regensaison werden die Wege oft unwegsam und die Dorfbewohner, besonders in den nordischen Regionen, können dann oft über den Zeitraum von drei bis fünf Monaten ihr Dorf nicht verlassen.
Und auch das touristische Reisen ist schwierig. Selbst die Straßen, die die „Hauptattraktionen“ Vientiane, Luang Prabang und Phonsavan miteinander verbinden, können während des Monsuns unpassierbar werden und es kann durchaus sechzehn Stunden dauern gerade einmal 200 km Luftlinie hinter sich zu bringen. Viele Straßen sind Schotterstrecken, auf denen der Bus sich mit zehn Stundenkilometern starke Steigungen hinaufquält oder ebenso langsam über das Geröll talabwärts rutscht. Umstände, die weniger abenteuerlustige Reisende abschrecken und dafür sorgen, dass die Routen vor allem von Rucksackreisenden frequentiert werden. Mit wirtschaftlichen Folgen, denn die „Lonely Planet Traveller“ sind meist mit einem knappen Budget ausgestattet und hinterlassen nur wenig Devisen. Aber vor allem die Bevölkerung hat mit dem öffentlichen Transport zu kämpfen. Es gibt keine Fahrpläne, keine Haltestellen und die einzige verlässliche Information ist die Erfahrung, dass der Bus jeden Tag einmal eine bestimmte Straße frequentiert. Wann genau hängt jedoch von vielen kaum kalkulierbaren Faktoren ab, und wer Waren zum nächstgelegenen Markt bringen will oder Verwandte besuchen, muss geduldig am Straßenrand ausharren, bis das Gefährt auftaucht. Und eben weil der Aufwand so groß ist reduzieren sich die Ausflüge auf ein Minimum und werden dafür in ihrer Dauer ausgedehnt. Der Handel ist also schwierig, um seine Erzeugnisse zu verkaufen müssen die Dorfbewohner noch große Belastungen auf sich nehmen.
Am Zustand der Straßen wird deshalb intensiv gearbeitet. Denn der Ausbau der Wege bedeutet auch den Weg aus der Armut. Laos selbst, aber auch die direkt am Handel interessierten Nachbarländer wie China und Vietnam investieren in ein größeres Netz und Transitstraßen. Natürlich nicht ganz uneigennützig: Über die glatt gepflasterten Straßen der Grenzgebiete rollen vor allem lange LKW-Kolonnen mit illegal gerodetem Tropenholz, die in China oder Vietnam zu Möbeln verarbeitet werden. Immerhin früher als in anderen Ländern hat man in Laos Gesetze zum Schutz der Umwelt erlassen – die konsequente Durchsetzung ist problematisch: Der Norden ist nur schwer zugänglich und zu kontrollieren, und die hier stationierten Supervisoren sind leicht zu bestechen. Die Gefahr, dass mit den neuen Möglichkeiten und Einflüssen einige der Traditionen und Ressourcen auf der Strecke bleiben, ist groß. Und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen könnte für Laos besonders schlimme Folgen haben, denn die Wälder sind Lebensraum der Bergstämme – und Touristenmagnet. Und so bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen von gestern und die Weitsicht von heute Laos morgen tatsächlich wie geplant zu einem Vorzeigeprojekt der nachhaltigen Entwicklung machen.
(alle Bilder: Tanja Pabelick)