Schneeflocken fallen vereinzelt, aber beharrlich vom Himmel. Der Dom steckt seine zwei gotischen Köpfein den Nebel. Zum Anlass der Möbelmesse IMM und der Passagen hat Köln sein blasses Winterkleid angelegt – und ist damit passend zur diesjährigen Möbel-Mode gewandet. Ob in den Messehallen oder in den Galerien und umgenutzten Industriehallen Ehrenfelds: Vor allem das junge Design scheint wie auf Farbentzug.
In Halle 9 sind die Hochschul-Absolventen zum zehnten Jubiläum des messeeigenen Wettbewerbs d3 angetreten. Der erste Eindruck ist überraschend homogen. Die Nuancen der Objekte vor den weißen Stellwänden bewegen sich irgendwo zwischen Birke, Esche und Fichte, sanfte farbliche Akzente setzen Schweinsleder oder Graufilz. Fast scheint es, als habe der Nachwuchs Furniere, Lacke und Lasuren aus seinem Materialvokabular gestrichen. Selbst der fröhliche kleine Schrank der schwedischen Designerin Jenny Ekdahl, der mit 2000 verschieden blauen Schuppen ausgestattet ist, kann sich blitzschnell gruppentauglich tarnen. Mit einem Streichen gegen die Lamellenrichtung ist auch er wieder voll Holz. Alles wirkt ätherisch, ja irgendwie entrückt. Eine Leuchte aus Metalldraht und Dioden in Rot, Blau und Grün führt die additive Farbmischung vor und lässt bunte, sich überlagernde Lichtstreifen entstehen. Tina Schmids grafische Garderobe aus neun Metallstangen spielt mit der Perspektive. Die Aussteller scheinen weniger den Massenmarkt der Nebenhallen im Visier zu haben, sondern nutzen den Wettbewerb als Plattform für Statement und Sensation ohne sich auf die Industrie-Kompatibilität zu fixieren. Die Jury selbst erklärte ein Regal von Lucien Gumy zur diesjährigen Sensation und zeichnete es mit dem ersten Platz aus. Durch eine findige Stecklösung lässt es sich ohne Nägel und Schrauben aufbauen – und ist dabei aus unbehandeltem Massivholz.
Draußen auf den Passagen geht es thematisch noch tiefer in den Forst. Die HfG Karlsruhe präsentiert ein Kooperationsprojekt zwischen der hochschuleigenen Kollektion kkaarrlls und der Stiftung „Echtwald“, die sich der Renaturierung bestimmter Teile des Schwarzwaldes verschrieben hat. Von dort kommen alle ihre Produkte und die Erlöse fließen dorthin zurück. Die unüberhörbare Attraktion der Ausstellung ist ein einarmiger Roboter mit Kettensägen-Hand, der zu bestimmten Zeiten vor Publikum ans Werk geht. Mit gezielten Schnitten und beinahe bedächtiger Langsamkeit säbelt er von einem CAD-Programm gesteuert in einen etwa meterhohen Baumstamm. Dann wird ein Hocker aus dem Block gehoben, ein zweites identisches Modell taucht darunter im Kopfstand auf. Applaus. Das ist das Rezept, aus dem überzeugende Produkte geschnitzt sind. Ein archaisches Rohmaterial trifft auf moderne Technologie und wird durch seinen Entstehungshintergrund emotional aufgeladen. Jedes Produkt ist ein Unikat, die Herkunft bleibt durch die Rinde an den Außenseiten der drei Beine sichtbar.
Es sind solche Geschichten, die hängen bleiben. Nicht nur die aus der Einsamkeit des Waldes, sondern auch die aus der Großstadt, die soziales Miteinander thematisieren. Mitten in Ehrenfeld, dem ehemaligen Industrie- und Arbeiterviertel, stellen acht Gestalter „Objects for the Neighbour“ vor. Wer sind die Menschen hinter der nächsten Türe oder dem nächsten Zaun, wo beginnt Nachbarschaft und wie wird sie gelebt und gestaltet? Mit diesen Fragen als Fundament haben sie völlig unterschiedliche Antworten gefunden, die so direkt sind, wie das Kehrschaufel-Set von Sarah Böttger, das den Flur zum Begegnungsort und die Reinigungs-Utensilien zum Gemeingut erklärt. Oder die Nachbarschaft abstrakter betrachten, wie Karoline Fessers Sample Avenue. Eine Reihe von Gefäßen wird symbolisch zur Straße, in der offene und verschlossene Charaktere leben und die sich zur gläsernen Architektur stapeln. Gemeinschaft und Einsamkeit leben Tür an Tür. Um letzterer zu antworten, hat Hanna Ernsting ein paar pflegeleichte Haustiere entworfen. Hocker in Tiergestalt erzählen vom Feierabend im Wohnzimmer. Die den Objekten zugrunde liegenden Szenarien spannen den roten Faden von Deutz nach Ehrenfeld. Es entsteht der Eindruck, dass Designer sich heute als Kinder einer ganzheitlich denkenden Generation in der etwas schizophrenen Lage wiederfinden, konsumkritische Dienstleister der Konsumgüterlandschaft zu sein. Ihre Entwürfe bieten deshalb mehr als einen kurzen Moment der rein funktionalen Verbraucherbefriedigung. Davon erzählen ihre Möbel dieses Jahr in Köln, in leisen Tönen und dezentem Gewand.
Erschienen in der GRID 02/2013, www.grid-magazin.de