Interview: Osko+Deichmann

START_portrait
Im Berlin der unbegrenzten Möglichkeiten lernten Blasius Osko und Oliver Deichmann sich 1996 an der Universität der Künste kennen. Von da an bildeten sie ein kongeniales Team, entwarfen als „Wunschforscher“ einen mechanischen Sushi-Roller oder verrückt-fantastische Springschuhe. 2005 nannten sie ihr Studio schlicht in Osko+Deichmann um, behielten aber die Überzeugung, dass starke Konzepte sich aus konsequenter Ästhetik, Erfindergeist und gekonnten Überraschungsmomenten zusammensetzen. Seither denken sie für Firmen wie Brunner, Blå Station und Ligne Roset Leben und Arbeiten neu und beweisen, dass es immer kluge Lösungen zu entdecken gibt. Wir haben sie in ihrem Berliner Studio besucht und sprachen mit ihnen über geniale Defekte, die Zukunft mittelständischer Unternehmen und die Inspiration, die man in einem einfachen Steg finden kann.

Seit 1998 arbeitet ihr konsequent als Duo – ohne Entourage.  
Ja. Eine lange Ehe, wenn man es sich genau überlegt.

Wie sieht es in diesem Bund fürs Arbeitsleben mit der Aufgabenteilung aus?
Ganz paritätisch. Sicher gibt es Dinge, wo der eine stärker ist als der andere. Aber gerade was uns am meisten Spaß macht – der Entwurf – ist immer Teamwork. Wir arbeiten meist an vielen Projekten gleichzeitig, deshalb muss immer einer ein Projekt leiten, Entscheidung fällen wir aber zusammen. In den vielen Jahren haben wir da so unsere Methoden entwickelt.

Auch wenn man sie heute bei euch auf der Webseite nicht mehr findet: Euren ersten großen Erfolg hattet ihr mit einer Rolle, mit der sich Sushi wie Zigaretten produzieren ließ.
Die haben wir noch zu Studienzeiten als „Wunschforscher“ selbst produziert und vermarktet. Das war zum Jahrtausendwechsel, als Sushi noch eine ganz andere Bedeutung hatte als heute: gesundes Superfood. In diesem Kontext eine Maschine in Form eines skalierten Zigaretten-Rollers zu bauen fanden wir witzig. Unser erster Prototyp bestand aus Malerrollen. Kurze Zeit später war die Nachfrage schon so groß, dass wir in die Eigenproduktion gegangen sind. Irgendwann mussten wir uns dann entscheiden, ob wir jetzt Sushi-Roller Produzenten sind oder Designer. In der Zwischenzeit hatten wir einiges gelernt: Kalkulation, Hersteller finden, Produktion, Effizienz und Vermarktung.

Eure Entwürfe zeichnen sich durch heureka-Momente aus. Da haben Aluminiumrohre plötzlich Knicke und Bistrotische heimliche Rollen, mit denen sie sich abschieben lassen. Wie kommt ihr auf sowas?
Manchmal gibt es schon so etwas wie eine Eingebung. Bei Straw haben wir einen Knick in einem kaputten Rohr gesehen und gedacht: „Hey! lässt sich das nicht auf ein Stuhlgerüst übertragen?“ Uns hat diese primitivste Art das Rohr zu verformen gereizt. Der Knick ist ja eigentlich ein Defekt, der das Rohr schwächt. Da geht die eigentliche Arbeit erst los.

Wie habt ihr es geschafft, die Schwachstelle zu stabilisieren?
Wenn man gerade knickt, dann wird diese Stelle weich. Straw und die Nachfolge-Kollektion Superkink haben eine 45-Grad-Faltung und das Rohr wird genau in die Richtung schwach, in die es sich nicht mehr bewegen kann. Diesen statischen Kniff mussten wir tatsächlich oft erklären. Viele haben geglaubt, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, dass wir das Rohr zum Beispiel ausgegossen haben um das Gestell zu festigen.

Und der Clou mit der horizontalen Rolle?
Beim Bistro Table war eine Beobachtung der Ausgangspunkt. Wir haben den Leuten im Eventbereich über die Schulter geschaut und schnell ein Gefühl dafür bekommen, wo beim Auf-, Ab- und Umbau die Probleme liegen. Mit der von uns entwickelten liegenden Rolle muss der Tisch nicht mehr angehoben werden. Man braucht auch keine Feststellbremse mehr und kann den Tisch einfach und schnell umplatzieren.

Ist es schwierig die Hersteller von solchen Innovationen überzeugen?
Eigentlich waren wir zu der Zeit gerade mitten in der Entwicklung der Sitzgruppe Plot für Brunner. Da haben wir den Bistrotisch gleich mit vorgestellt und er wurde sofort ins Programm aufgenommen. Brunner ist immer offen für neue Impulse. Viele unserer gemeinsamen Projekte entstehen im Gespräch oder durch Vorschläge von uns. Ein großes Thema für Brunner ist derzeit das Thema Arbeit: Wo führen die aktuellen Entwicklungen hin, wie können wir den Entwicklungen entgegenkommen?

Wo geht es denn eurer Meinung nach hin?
Was man deutlich sehen kann: Es wird weniger an festen Orten gearbeitet. Weder im Unternehmen, noch zuhause. Durch die Vernetzung ist der Arbeitnehmer ungebunden. Deshalb sehen wir die Zukunft im dynamischen und flexiblen Arbeiten. Natürlich gibt es diesen Trend schon länger, aber es wird auch noch dauern, bis er aus den internationalen Internet-Start-ups auch in den deutschen mittelständischen Unternehmen ankommt.

Derzeit sieht es ja so aus: Man hat die Arbeitskuben abgeschafft – und holt sich Rückzugsräume herein. Ist das jetzt die Zukunft des Büros?
Die Öffnung findet ja vor allem aus wirtschaftlichen Gründen statt, wenn man mehr Leute auf der gleichen Fläche unterbringt. Der Schritt zurück in die individuelle Box, der wird mit unserer flexiblen Arbeitsgestaltung schwierig. Mitarbeiter ziehen eher in den Zwischenbereich um, bleiben in der Cafeteria oder in der Lounge.

Das Ende des klassischen Schreibtisches?
Einen Schreibtisch braucht man in der Tat nicht mehr so wie früher, aber die Leute weichen ja auch aus, weil es laut ist. Ein Potential sehen wir deshalb auch im Bereich der akustischen Lösungen. Vielleicht werden in Zukunft ganze Bereiche mit einem Noise Cancelling ausgestattet. Nicht im Sinne einer physischen Wand, sondern vielmehr nach dem akustischen Prinzip, das heute schon bei Kopfhörern eingesetzt wird.

Ihr seid mit euren Entwürfen thematisch derzeit viel im Büro unterwegs. Ist Office ein Schwerpunkt eurer Arbeit geworden?
Das kann man schon sagen. Im Objektbereich kann man derzeit einfach innovativere und progressivere Produkte umsetzen.

Wie eure Stehhilfe Dress: Unter einer flexiblen Bespannung mit Gewebe verbirgt sich die dynamische Höhenverstellung. Moment-Idee oder lang erarbeitete Evolution?
Brunner hatte explizit den Wunsch nach einer Stehhilfe und wir haben verschiedene Entwürfe vorgestellt. Als wir Dress gezeigt haben, war sofort klar, dass das die richtige Lösung ist. Weil es das noch nie gab, dass die Konstruktion sich hinter einem Textil verbirgt und sich ein Hocker in der die Höhe verändern lässt, aber seine Silhouette beibehält.

Auch Plot thematisiert das Sitzen auf verschiedenen Höhen, allerdings im Loungebereich. Bedeutet die neue Arbeitswelt auch einen Abschied vom genormten, aufrechten Sitz?
Wir haben eine Sitzstudie durchgeführt und festgestellt, dass gerade Sofas nicht wie angedacht genutzt werden. Kann man also nicht gleich Möbel machen, bei denen der Benutzer selbst entscheidet, wie er es nutzen möchte? Plot bietet drei Ebenen an. Es gibt die klassische Sitzfläche, man kann sich aber auch auf die Arm- und Rückenlehnen setzen. Dadurch ergibt sich ein sehr großer Spielraum. Die Menschen setzen sich hinten drauf, schauen sich über die Schulter oder treffen sich zu einem kurzen informellen Gespräch.

Habt ihr Strategien, mit denen ihr euch einem Projekt in der Entwurfsphase annähert?
Wir suchen uns für formelle Ausarbeitung ein Leitmotiv. Bei Plot war das die Kaskade, ein stufenartiger Wasserfall, der als visuelles Konzept für die drei Sitzebenen steht. Mit dieser Methode finden wir Optionen, auf die wir sonst vielleicht nicht gekommen wären: Die geneigten Streben der Lehnen erinnern an herunterlaufendes Wasser und auch die Schrägen der aufliegenden Polsterkanten sind kein Zufall. Wenn man sich einen Wasserfall genau anschaut, dann gibt es an der Basis eine Unterspülung, die eine solche Kante ausformt. Die Stoffe sind auf der Sitzfläche, wo das Wasser dem Bild nach steht, glatt gewählt, an den Seiten sind sie rauer. Wir definieren uns eine Welt, an der wir bis zu einem gewissen Punkt orientieren und die wir an anderer Stelle abstrahieren. Das ist unser gestalterischer „Spielraum“.

Mit diesem System arbeitet ihr immer?
Ja, bei allen unseren Entwürfen. Für Ligne Roset haben wir den Tisch Pontonentworfen, der an einen verborgenen Steg erinnert und sich aus Latten zusammensetzt. Auf die untere Ebene des Tisches kann man dann eine Vase stellen und die Pflanzen schieben sich durch die Zwischenräume empor. Mit der Abstraktion dieses tollen Ortes bringen wir eben auch die Emotionen, die dieser auslöst, private oder romantische Momente, in den Wohnraum. Unsere Produkte sind mehr als das, was man da sieht. Sei es, dass wir auf ein Bedürfnis eingehen, wir uns an einer Inspiration orientieren oder einen funktionalen Kniff finden. Was wir nicht mögen, sind Objekte, über die man gar nicht reden kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

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