Obwohl die Wirkungsstätten mit Dessau und Weimar im Osten liegen, wird das Erbe des Bauhauses heute vor allem als eine Geschichte verstanden, die im Westen fortgeschrieben wurde. Eine Ausstellung in Eisenhüttenstadt begibt sich auf Spurensuche und findet – allen Formalismus-Debatten zum Trotz – die Gestaltungsprinzipien des Bauhauses durchaus auch in der industriell gefertigten Alltagskultur der DDR.
Eine Stunde von Berlin liegt Eisenhüttenstadt. Der Weg führt über vereinsamte brandenburgische Dörfer bis zur polnischen Grenze in die in den 1950er Jahren erbaute Planstadt. Heute leben hier gerade noch halb so viele Menschen wie kurz vor der Wende, als das Eisenhüttenkombinat Ost für sichere Arbeitsplätze sorgte. Beim Spaziergang durch die verschlafenen Straßen lässt sich die Landflucht spüren, aber auch die städtebauliche und architektonische Leitlinie der DDR. Als größtes zusammenhängendes Flächendenkmal gehört Eisenhüttenstadt mit seinen Wohnkomplexen zu den 100 ausgewählten Orten der Grand Tour der Moderne. Weitab von den klassischen Routen rund um Dresden, Dessau oder Leipzig gibt es für Touristen wenig Grund zu einem Besuch in dem aufgrund seines Verfalls mittlerweile auch als Schrottgorod bezeichneten Städtchen. Aus einem städteplanerischen Blickwinkel ist die sozialistische Wohnstadt hingegen ein spannender Exkursionsort.
Eiche rustikal
Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR liegt inmitten des sozialistischen Ensembles, in einem Gebäude, das einst eine Kinderkrippe beherbergte und die Besucher im Treppenhaus mit einer Fenstergestaltung von Walter Womacka begrüßt. „Der Osten und das Bauhaus? Das sind für viele erst einmal zwei Dinge, die scheinbar nicht zusammengehören“, erzählt Leiterin und Kuratorin Florentine Nadolni bei der Eröffnung der Ausstellung „Alltag formen“. Denn der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR gefällt der „Formalismus“ des Bauhauses erst einmal ganz und gar nicht. Stattdessen wünscht man sich die Rückbesinnung und Weiterentwicklung von nationalen Gestaltungstraditionen, die man aufs Wohnzimmer übertragen freundlich ausgedrückt als „bürgerlich“ bezeichnen kann.
Propaganda gegen den Formalismus
In den Ausstellungsräumen illustrieren Auszüge aus einem Buch des Forschungsinstituts für Innenarchitektur der Deutschen Bauakademie von 1953 das gute und das schlechte Wohnen – und verkehren den heutigen Blick ins Gegenteil. Als schön gelten die Renaissance oder Chippendale, Holzschnitzereien und dunkler Nussbaum. Die Architektur von Mies von der Rohe hingegen wird als die „völlige Auflösung jeglicher Architektur“ bezeichnet, in der „betonte Primitivität“ in „ausdruckslosen Innenräumen“ herrscht. Vor dem Hintergrund unserer heutigen Auffassung von Ästhetik und guter Gestaltung war das eine ziemlich schiefe Sichtweise. Aber der Gang durch die Ausstellung zeigt auch die langsame Wieder-Annäherung bis 1989. Denn natürlich waren nach der Auflösung des Bauhauses seine Ideen und Absolventen nicht verschwunden. Nach dem Krieg hatten sowohl der Westen als auch der Osten eine gemeinsame Herausforderung: Die Wohnungen mussten nicht nur wieder aufgebaut, sondern auch wieder eingerichtet werden. Die Leitlinien der DDR für die Möbelproduktion forderten dafür erst einmal keine „kastenähnlichen Schränke“ (wie Walter Ulbricht die Möbel des Bauhauses einordnete), sondern eine Ästhetik in Richtung reichhaltiger Verzierungen, Dekoration und Profilleisten. Dinge, die das Bauhaus aus tiefstem Herzen verneinte.
Der Weg in die Ostmoderne
Dennoch setzten ehemalige Bauhäusler wie Mart Stam, Selman Selmanagić oder Walter Funkat, die erst in der sowjetischen Besatzungszone und später auch in der DDR wirkten, ihre Vorstellung von guter Form und industrieller Produktion fort. Erst still, dann mit steigender Relevanz. Dabei spielte ihnen die Serienproduktion in die Hände – denn die verstand sich schlecht mit kunsthandwerklichem Klimbim, der in letzter Instanz auch wirtschaftlich nicht sinnvoll war. Im Inland war die teure Möbelkunst schwer zu verkaufen und für den Export waren wuchtige Garnituren auch ungeeignet. Die industrielle Serie liess sich der Ideologie kaum beugen. Und so gab man auch in der DDR irgendwann zumindest den produktionstechnischen Anforderungen nach – und beschloss eine radikale Standardisierung des Möbelbaus. Befördert wurde die Neuorientierung auch durch die Wende im Bauwesen. Die Industrialisierung des Wohnungsbaus sorgte für überschaubare Grundrisse, für deren Maße Einzelmöbel, Schrankwände und Systemmöbel entworfen wurden.
Konsequenter Pionier: Die Möbelwerkstätten Hellerau
Die Möbelwerkstätten Hellerau, die schon zur Jahrhundertwende in Dresden maschinell gefertigte Serienmöbel produziert und mit renommierten Künstlern zusammengearbeitet hatten, konnten ihre Entwicklungen jetzt weiterführen. Die erste neue Serie war das Baukastensystem 602. Entwickelt vom Bauhaus-Schüler Franz Ehrlich bestand es aus nur wenigen Grundelementen, die sich aber zu 1177 individuellen Kombinationen zusammenbauen liessen. Auch Selman Selmanagić entwarf für die Werkstätten. Der Bauhaus-Architekt und Leiter des Fachgebietes Architektur an der Kunsthochschule Berlin Weissensee entwickelte neue Bugholzmöbel aus Furnier, wie das Modell 53693, bei dem Lehnseiten, Seitenzarge und Vorderbein aus einem Stück sind. 1967 dann entwarf Rudolf Horn, Lehrer an der Burg Giebichenstein, ein Möbelsystem mit radikaler Konsequenz. Die Montagemöbel der Deutschen Werkstätten, kurz MDW, waren auf eine optimale Produktion sowie die bestmögliche Ausnutzung unterschiedlicher Raumhöhen und -größen ausgerichtet. Die Elemente konnten als einzelnes Möbel genutzt, aber auch zur Wand oder zum Raumteiler verbaut werden. Das System wurde jahrzehntelang produziert und zum erfolgreichsten Möbelserie der DDR – auch wenn Walter Ulbricht darin immer nur „Bretter“ sah.
Gutes Design als Ergebnis der Mangelwirtschaft
Die Reformierung der Gestaltungskultur und die Etablierung einer neuen Moderne in der DDR war für die Anhänger einer sachliche Ästhetik nicht ohne Hindernisse. Das Überladene wich dem Reduzierten vor allem, wenn es sich durch produktionstechnische Umstände begründen ließ – im Bereich der Haushaltsgegenstände ebenso wie im Möbelbau. Die sozialistische Moderne war vor allem eine alternative ästhetische Kultur, die in ihrer Präsenz kaum mit den Entwicklungen im Westen mithalten konnte. Aber sie zeigte auch, dass das Bauhaus eben keine Stilrichtung ist, sondern vielmehr eine Schule mit einem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch, die für eine freie, gleichberechtigte und radikale Vorstellung vom menschlichen Zusammenleben stand. Und so steckten die Ideen des Bauhauses, wie Hannes Meyers Maxime „Volksbedarf statt Luxusbedarf“, auch im DDR-Produktdesign.
Erschienen bei DEAR magazin: www.dear-magazin.de