Sie kommen in Minibussen über die Alpen, fliegen mit Sperrgepäck von Kontinent zu Kontinent, campen auf Parkplätzen oder schlafen zu zehnt in einem Apartment. Sie stehen neun Stunden lang vor ihren Regalen, Leuchten, Vasen, wiederholen die immer gleichen Sätze. Und zahlen dafür auch noch Geld. Um eine Woche bei der Talentshow der weltweit größten Möbelmesse dabei sein zu dürfen, nehmen junge Designer einiges auf sich. Doch lohnt sich das? Und was bekam der Besucher zu sehen? Ein Rundgang über die 16. Ausgabe des Mailänder Salone Satellite.
Wirtschaftliche Krisen ließen die Röcksäume nach oben wandern, die Raumfahrt sorgte für futuristische Kaffeekannen und in der übersättigten Konsumkultur der 1980er rebellierte die Gruppe Memphis mit ihren Bauklotz-Unikaten. Keine Frage: In Kunst, Mode und Design spiegelt sich der gesellschaftliche Gemütszustand. Und bevor sich eine Strömung etabliert, sind es die jungen, frei arbeitenden Gestalter, die aufgreifen, was sie bewegt. Der international ausgerichtete Salone Satellite kann deshalb auch als ein wichtiger gesellschaftlicher Seismograph verstanden werden.
Stereo- und andere Typen
Tatsächlich haben wir vergangene Woche beim Querschnitt der Gestalter-Jugend einen Wandel beobachtet. Kaum ein Objekt, das sich aggressiv oder laut gezeigt hätte. Stattdessen: eine ans Ätherische grenzende Zurückhaltung. Natürliche, unbehandelte Oberflächen, ehrliche Materialien, funktionale Lösungen. Die Objekte warten auf den Nutzer, schüchtern stehen sie in der Defensive. Der Betrachter musste einen Schritt nach vorne tun, um sie zu verstehen oder darin verborgene Talente zu entdecken. Beispiel Leuchten: Auf den ersten Blick versammeln sich beim Nachwuchs Archetypen, auf den zweiten folgt ein Überraschungsmoment. Etwa bei der vermeintlich klassischen Schreibtischleuchte Rubber Lamp von Thomas Schnur, die sich sich als nachgiebige Gummiversion entpuppt. Und die Norwegerin Kristine Five Melvaer kleidete einfache Tischleuchten in transparentes Nylongewebe. Spaß am Experiment hat in der Vergangenheit des Salone Satellite schon anders – wenn auch nicht unbedingt besser – ausgesehen. Da gab es auch mal exzessiv-bunten Plastik-Pop, abnorme Sitzgeräte oder vordergründig originelle Kapriolen.
Hand anlegen
„Design and Craftmanship: Together for Industry“ lautete die thematische Klammer der Ausstellung mit ihren knapp 120 Teilnehmern. Höchstwahrscheinlich hatte die Jury es nicht schwer, zum diesjährigen Motto passende Mieter für die 16 Quadratmeter großen Stände zu finden: Handwerk und Design, das geht ja wieder. Gemeinsam dürfen beide nicht nur als Duo auftreten, sondern bestenfalls eine intakte Symbiose eingehen. Vor allem aber sieht die Dingwelt dadurch weniger nach Industrieförmchen, sondern mehr nach Einzelstücken und Kleinserien aus. Der Stand von Fünf German Studios macht vor, wie das funktioniert. Einfache geometrische Formen, Materialkombinationen, die sich genau an der Grenze von Kollision und Harmonie bewegen, dazu Details mit Manufaktur-Appeal, wie ein handgeknotetes Lederbändchen am Kerzenständer-Halter. Ein bisschen Poesie, eine Prise Tradition, eine Background-Story – das ist der Zeitgeist.
Sieben Tage mittendrin
Doch lohnt sich Mailand? Die fünf Designstudios aus Deutschland etwa haben ihre Entwürfe mitsamt Standmobiliar, Flyern im Auto quer durch Europa gekarrt. Noch schwerer hatten es die chilenischen Designer vom so passend benannten Stand „Chilean Design is moving“, die mit Sperrgepäck aus Santiago angeflogen sind. Der übergreifende Tenor an Tag eins: Eigentlich ist man schon müde, bevor es überhaupt losgeht. Dazu kommt der finanzielle Aufwand, wie die Miete für den Stand. Eine Woche kostet um die 2500 Euro. Und die Unterkunft, die während der Möbelmesse selbst Silvesterpreise übersteigt. Nicht zu vergessen die Produktion der Prototypen.
Auf der Haben-Seite zu verbuchen: Immer wieder werden Produkte von den Herstellern entdeckt. Und auch wenn der Prozentsatz der direkt abgekauften Entwürfe nicht hoch ist, es bleibt die internationale Presse, die vorbeischlendert und in den nächsten Monaten vieles in vielen Ländern publizieren wird. Auch das schafft Aufmerksamkeit bei den Produzenten. Und zuletzt sind da die Kontakte zu den anderen Büros, aus denen sich manches Mal Kooperationen ergeben. Schlussendlich bleibt die ermutigende Gewissheit, dabei gewesen zu sein, seinen Beitrag gezeigt zu haben.
Moment am See
Wer seine Entwürfe nicht direkt vermarkten konnte, hat außerdem die Chance, auf den von der Zeitschrift design report ausgerichteten und von Herstellern wie Richard Lampert, Reisenthel oder Vitra gesponserten Award der Ausstellung, der mit immerhin 7500 Euro dotiert ist. Ausgezeichnet wurde 2013 eine Kooperation zwischen den Wahl-Londonern vom Studio Shikai und dem Poetic Lab. Ihre Leuchten bestehen aus einem mundgeblasenen Glaskörper, der auf einer runden Holzbasis rotiert und das Licht des darunter installierten LED-Spots an die Wand wirft. Im Raum entsteht eine Atmosphäre, die an Sommerabende am See erinnert und in den winterlichen Mailänder Frühlings sommerliche Leichtigkeit zauberte. Schon am Stand bildeten sich Trauben um das poetische Phänomen, das das Handwerk und die Innovation spielerisch verbindet.
Konsequenz im Konsum
Am Schluss bleibt die Frage: Warum bloß ist der Nachwuchs in diesem Jahr so leise? Schon auf den vorangegangenen Messen hielt die neue Bescheidenheit Einzug, in diesem Jahr war sie omnipräsent. Von Krise will hingegen keiner sprechen. Für den schieren Spaß ist aber auch niemand in Stimmung. Potenziale werden sorgsam delegiert, neue Lebensmodelle erkundet. Pflanzen ziehen in den Wohnraum ein, als Kräuter in der Küche, als Dekoration im Wohnraum. Das Studio Micomoler präsentierte einen Kühlschrank aus Sand und Ton, der Gemüse frischhält und dabei ganz ohne Strom auskommt. Der haltlose Konsum hat Pause, stattdessen stellen sich neue Fragen. Wie wollen wir leben? Was brauchen wir? Was können wir als Verbraucher eigenständig leisten? Was macht Lebensqualität aus? Mit wenig Aufwand und normabweichenden Lösungen bietet der Nachwuchs neue Modelle. Und diesen Modellen werden sich in den nächsten Jahren auch die etablierten Player in den anderen Hallen stellen müssen.
Erschienen auf www.designlines.de